Anleitung: So planst du deine finanzielle Freiheit präzise
Ein Entnahmeplan ist im Grunde ein "umgedrehter Sparplan". Doch während du beim Sparen Fehler verzeihst (du kannst einfach später in Rente gehen), verzeiht die Entnahmephase keine Fehler (du kannst mit 75 oft nicht einfach wieder arbeiten gehen). Deshalb führen wir dich hier durch die kritischen Parameter.
1. Das Startkapital: Dein Lebenswerk
Gib hier den aktuellen Marktwert deines Portfolios an.
Wichtig: Trenne mentales "Notgroschen-Vermögen" vom "Investitions-Vermögen". Dein Notgroschen auf dem Tagesgeldkonto (für die Waschmaschine oder das Auto) gehört nicht in diese Berechnung, da er keine Rendite erwirtschaftet und für Konsum reserviert ist. Hier gehört nur das Kapital rein, das für dich arbeiten soll (z.B. ETFs, Aktien, vermietete Immobilien).
2. Die Rendite: Optimismus vs. Realismus
Welche jährliche Wertentwicklung erwartest du?
- MSCI World (historisch): ca. 7-8% nominal pro Jahr.
- Sichere Staatsanleihen/Tagesgeld: ca. 1-3% pro Jahr.
- Mischportfolio (60/40 Portfolio): ca. 4-6% pro Jahr.
⚠️ Warnung vor der Null-Linie: Viele Nutzer rechnen zu optimistisch. Bedenke, dass du in der Entnahmephase oft risikoaverser wirst (Umschichtung von Aktien in Anleihen). Rechne lieber mit 4% oder 5% Rendite als mit den 8% aus deiner Jugend. Ein Crash in der Entnahmephase wiegt schwerer als ein Boom.
3. Die Entnahme & Dynamik (Inflation)
Hier entscheidet sich dein Lebensstandard.
Die statische Entnahme
Du entnimmst jeden Monat exakt 1.500€.
Das Problem: In 15 Jahren sind diese 1.500€ durch die Inflation vielleicht nur noch so viel wert wie heute 900€. Du wirst ärmer, ohne dass die Zahl auf dem Kontoauszug sich ändert.
Die dynamische Entnahme (Empfohlen)
Du erhöhst deine Entnahme jährlich um den Inflationssatz (z.B. 2%).
Der Effekt: Im ersten Jahr entnimmst du 1.500€, im zweiten Jahr 1.530€, im zehnten Jahr schon ca. 1.800€. Dein Kapital schmilzt deutlich schneller, aber deine Kaufkraft bleibt erhalten. Das ist die einzige ehrliche Rechnung.
Die Mathematik: Warum dein Geld schneller weg ist als gedacht
Hinter dem Entnahmeplan steht keine einfache Division ("Geld geteilt durch Monate"), sondern eine rekursive Folge. Das Kapital kämpft einen ständigen Kampf: Zinseszins (Wachstum) vs. Entnahme (Schwund).
Die iterative Formel, die unser Algorithmus nutzt, sieht so aus:
Die Legende:
- $K_n$: Kapital am Ende des Jahres $n$.
- $K_{n-1}$: Kapital des Vorjahres.
- $r$: Jährliche Rendite (z.B. 0.05 für 5%).
- $E_{Start}$: Deine anfängliche Jahresentnahme.
- $i$: Die Inflationsrate (Dynamik), mit der deine Entnahme steigt.
Was uns die Formel lehrt: Der Term $(1+i)^{n-1}$ ist exponentiell. Das bedeutet, deine Entnahme wächst mit Zinseszins-Effekt. Wenn deine Anlagerendite $r$ nicht signifikant höher ist als deine Entnahmesteigerung $i$, kippt das System sehr schnell.
Das ist der Grund, warum die berühmte "Ewige Rente" nur funktioniert, wenn $r > Entnahmerate + Inflation$.
Realitäts-Check: Der Staat sitzt mit am Tisch
Ein häufiger Fehler bei US-basierten FIRE-Rechnern (Financial Independence, Retire Early) ist das Ignorieren des deutschen Steuerrechts. Wenn du 2.000€ aus deinem ETF verkaufst, landen keine 2.000€ auf deinem Girokonto.
Das Prinzip der Abgeltungssteuer
In Deutschland zahlst du 25% Kapitalertragsteuer + Soli (gesamt ca. 26,375%) + ggf. Kirchensteuer auf Gewinne.
Beispielrechnung Steuer:
Du verkaufst ETF-Anteile für 1.000€.
• Davon sind 600€ ursprüngliche Einzahlung (steuerfrei).
• Davon sind 400€ Kursgewinn.
Nur die 400€ werden versteuert.
Bei Aktien-ETFs greift zudem die Teilfreistellung (30%). Das heißt, nur 70% des Gewinns sind steuerpflichtig.
Zu versteuern: 400€ * 0,70 = 280€.
Steuerlast: 280€ * 26,375% ≈ 73,85€.
Netto-Auszahlung: 1.000€ - 73,85€ = 926,15€.
Strategie-Tipp: In unserem Rechner kannst du einen "Steuersatz" angeben. Gib hier nicht 25% ein, sondern deinen effektiven Steuersatz auf die Gesamtentnahme. Zu Beginn der Rente ist dieser oft niedrig (viele Einzahlungen, wenig Gewinnanteil). Gegen Ende der Rente, wenn dein Depot fast nur noch aus Gewinnen besteht, nähert er sich den 18,5% (bei Aktien-ETFs mit Teilfreistellung) an.
Strategie: Die 4% Regel vs. Deutsche Vorsicht
Wie viel darfst du entnehmen? Diese Frage spaltet die Finanzwelt.
Die "Safe Withdrawal Rate" (SWR)
Die Trinity-Studie (1998) analysierte Portfolios (50% Aktien / 50% Anleihen) über diverse 30-Jahres-Perioden zwischen 1925 und 1995. Das Ergebnis: Wer im ersten Jahr 4% des Startkapitals entnahm und diesen Betrag jährlich um die Inflation anpasste, war in 95% der Fälle nach 30 Jahren nicht pleite.
Kritik für deutsche Anleger
- Währungsrisiko: Wir zahlen in Euro, nicht in Dollar.
- Kosten (TER): ETF-Kosten schmälern die Rendite.
- Längere Laufzeit: Wer mit 40 in Rente geht ("FIRE"), muss 50 oder 60 Jahre finanzieren, nicht nur 30. Bei 60 Jahren Laufzeit sinkt die sichere Entnahmerate oft auf 3,0% bis 3,3%.
Unser Rat: Nutze den Rechner, um Szenarien mit 3% und 3,5% durchzuspielen. Wenn dein Plan auch bei 3% Entnahme noch aufgeht, bist du auf der sicheren Seite.
🔗 Dein Wissensnetzwerk: Davor und Danach
Ein Entnahmeplan steht nie isoliert. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger Vorarbeit und wird von äußeren Faktoren beeinflusst. Prüfe deine Annahmen mit unseren anderen Spezial-Tools:
Noch in der Ansparphase?
Bevor du entnehmen kannst, musst du aufbauen. Unser Zinseszins-Rechner zeigt dir, wie stark der Zinseszins in den letzten Jahren wirkt (Hockeyschläger-Effekt).
Das Vehikel verstehen
ETFs sind das Standard-Instrument für Entnahmepläne. Berechne hier, wie viel monatliche Sparrate nötig ist, um dein Zielkapital zu erreichen.
Der stille Dieb
Du glaubst, 2% Inflation sind wenig? Unser Inflationsrechner zeigt dir, wie brutal sich Kaufkraft über 20 oder 30 Jahre halbiert.
Barista-FIRE Option?
Reicht das Kapital nicht ganz? Vielleicht ist Teilzeit die Lösung. Berechne deinen effektiven Stundenlohn, um "Coast FIRE" zu planen.
Das Geheimnis liegt nicht im Rechnen allein, sondern im Verstehen der Zusammenhänge. Nutze die Werkzeuge, um deinen persönlichen "Masterplan" zu schmieden.